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// BIP 2010 // OUT OF CONTROL

Für 2010 lautet das Thema (OUT OF) CONTROL.

Durch dieses Thema wollen wir die Spannung zwischen verschiedenen Formen von Kontrolle, die unser Leben regeln, und der Abwesenheit von Kontrolle – durch passiven und aktiven Widerstand gegen diese Kontrollformen - erforschen. Ein besonderer Platz soll neuen Ausdrucksformen eingeräumt werden, die diese Spannung aufzeigen.
Im Sinne der Erkenntnisse von Michel Foucault und später Gilles Deleuze leben wir heute mehr als je zuvor in einer Kontrollgesellschaft. Der Sicherheitsdiskurs hat zur Folge, dass wir, oft ohne unser Wissen, von vielerlei Beobachtungs- und Überwachungsapparaturen erfasst werden, die von an der Straßenecke installierten Kameras bis zur Telefonabhörung reichen. Im Hinblick auf Rentabilität, Profit und Effektivität des Wirtschaftssystems sind außerdem eine ganze Reihe von Verfahren entstanden, wie zum Beispiel die Einkäufe archivierende elektronische Kundenkarte oder die Erfassung von Privatdaten durch die "Cookies" der Informatik etc..

Diese Vorgehensweisen führen zu gigantischen Datenbanken, in denen unsere Lebensentschlüsse und -entscheidungen als Verbraucher "in unserem Interesse" eingeordnet, aufbewahrt und ausgetauscht werden. Auch warnen uns der allgegenwärtige Hygienewahn gestützt von den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen mit hämmernden Losungen vor jeglichem Exzess und Missbrauch, den wir unserem Körper zufügen könnten ("Rauchen Sie nicht", Trinken Sie nicht", "Machen Sie Sport", "Essen Sie gesund", …). In ihrer Wiederholung und Systematik scheinen diese Slogans manchmal vielmehr einen freiheitsraubenden Diskurs zu verfolgen als den Wert des Lebens zu befürworten.

Eine besondere Rolle spielt bei diesen Kontrollprozessen und –diskursen der (Über-)blick. Nach dem Modell des "Sehens ohne gesehen zu werden" wurden verschiedene Methoden und Einrichtungen entwickelt, um besser, mehr oder weiter zu sehen… Vom Panoptikum - dem architektonischen Dispositiv, das von dem Engländer Bentham erfunden wurde und erlaubte, Gefangene ohne deren Wissen zu beobachten – bis zu urbanen Überwachungskameras: Diese visuellen Methoden sind fragwürdig. Mit den ethischen Fragen nach dem Gebrauch, den man von diesen Bildern macht ("Sehen, ohne gesehen zu werden" definiert gleichermaßen Voyeurismus und Überwachung) stellt sich auch die Frage nach den neuen Formen der Sichtweise und Repräsentation, zu deren Entstehung diese Einrichtungen führen.

All diese Kontrolldispositive, und es könnten weitere Beispiele genannt werden, werfen über uns ein unsichtbares Netz, das die scheinbare Freiheit jedes Individuums, über die Zeit, den Raum und seine Existenz eigenständig zu verfügen, überwacht.

Natürlich sind nicht alle Formen von Kontrolle negativ. Jedes der obengenannten Beispiele könnte einzeln betrachtet auch als Fortschritt angesehen werden. Nichtsdestoweniger vermittelt die Allgegenwart dieser weitgreifenden Überwachung, dieser immer größeren Prävention gegen unvorhergesehene Entwicklungen des Lebens und dieser Diskurse, die uns ohne Unterlass dazu anleiten, dem Guten zu entsprechen, den diffusen Eindruck des Eingesperrtseins. Dieser Eindruck steht im Gegensatz zu dem Gefühl der Emanzipation, das wir anderweitig auf anderen Ebenen kennen können.

Welchen Platz soll man also in dieser immerwährenden Arbitrage der Gefahr kleinen und großen Funktionsstörungen einräumen, die in unserem Alltag vorkommen? Den täglichen Unfällen - ob gerngesehen oder unglücklich? Der Abweichung unter all ihren Formen? Dem Zufall und anderen Imponderabilien? Dem leichten oder wütenden Wahnsinn? Der Zügellosigkeit, die man sich trotz der Vernunft zugesteht? Dem Chaos und der Unordnung?
Als Kontrapunkt zu den Kontrollinstanzen, die uns umgeben, wollten wir auch diesen zufälligen oder gewollten unkontrollierten Momenten einen Platz geben. Aber auch, grundsätzlicher gesehen, als Beweis einer unaufhörlichen Atmung, die unser Leben durch die Maschen des Kontrollnetzes hindurch von der Berechenbarkeit befreit, mit der man es gerne ausstaffieren würde. Diese Momente geben der notwendigen Vielfältigkeit des Lebens ihren Platz zurück und drücken Verschiebungen aus, die uns zum Lächeln oder Andersdenken bringen.